Die wahre Lage der Freiberufler in Europa: weniger Selbstständige, aber entscheidend für die Zukunft

In Europa gab es schon immer große Unterschiede zwischen den Nachbarländern. Dies gilt insbesondere für die Zahl der Freiberufler. Während in einigen Ländern die Gesamtzahl der Selbstständigen gestiegen ist, stagniert sie in anderen Ländern oder geht sogar zurück. Wie steht es also wirklich um die Freiberufler in Europa?

Jasper Spanjaart am 17. November 2021 Durchschnittliche Lesedauer: 5 min
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Die wahre Lage der Freiberufler in Europa: weniger Selbstständige, aber entscheidend für die Zukunft

Stellen Sie sich einen jungen Grafikdesigner vor, der in der nordfranzösischen Stadt Forbach arbeitet. Die Aufträge kommen immer wieder herein. Nach einem Jahr macht sich der Designer selbstständig und entwirft Logos für eines der führenden französischen Einhornunternehmen. Wenn diese Person nun 10 Minuten in den RE18-Bus nach Saarbrücken, gleich hinter der Grenze im Südwesten Deutschlands, steigen würde, stünden ihr vielleicht nicht dieselben Jobmöglichkeiten zur Verfügung.

Ein Kontinent mit vielen Unterschieden

Obwohl Europa aus der Ferne oft als ein einziger Ort betrachtet wird, war es schon immer durch subtile Feinheiten und Unterschiede gekennzeichnet. Ob durch Gesetzgebung oder Tradition, auf dem Kontinent gab es schon immer große Unterschiede zwischen den Nachbarländern. Für Deutschland und Frankreich könnten diese Unterschiede in Bezug auf die Vorschriften für Freiberufler nicht größer sein.

Ob durch Gesetzgebung oder Tradition, auf dem Kontinent gab es schon immer große Unterschiede zwischen den Nachbarländern.

Angesichts der steigenden Zahl von Freiberuflern führte Frankreich 2011 ein neues, vereinfachtes System ein. Mit dieser Nummer konnten Freiberufler in weniger als 48 Stunden eine Registrierungsnummer erhalten. Das bedeutete, dass der freiberufliche Grafikdesigner seinen Kunden unabhängig von der Unternehmensgröße bis zu 70.000 Euro pro Jahr steuerfrei in Rechnung stellen konnte. In Deutschland kann man keinen Kunden mit mehr als 250 Mitarbeitern treffen, ohne sich mit dem Finanzamt auseinandersetzen zu müssen. Scheinselbstständigkeit.

Das "Monstergesetz" führt zu weniger Freiberuflern in Deutschland

Die Scheinselbstständigkeit bedeutet übersetzt "Scheinselbstständigkeit". Es handelt sich um ein komplexes Modell, das in Deutschland oft als 'schreckliches Monster des deutschen Arbeitsrechts'. Es wird versucht, zwischen denjenigen zu unterscheiden, die eine einmalige freiberufliche Tätigkeit (für einen Hauptauftragnehmer) ausüben. Im Gegensatz zu mehreren Auftragnehmern, die nach deutschem Recht für Freiberufler erforderlich sind.

Die deutschen Steuerbehörden nehmen die Scheinselbstständigkeit als eine Form des Sozialversicherungsbetrugs sehr ernst.

Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn jemand laut dem zugrundeliegenden Vertrag selbstständige Dienstleistungen erbringt oder für ein fremdes Unternehmen arbeitet, in Wirklichkeit aber unselbstständige Arbeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses leistet. Die deutschen Steuerbehörden nehmen die Scheinselbstständigkeit als eine Form des Sozialversicherungsbetrugs sehr ernst - und sie kann zu enormen Geldstrafen und sogar einer Gefängnisstrafe führen, wenn sie schuldig gesprochen wird.

In Frankreich ist die Zahl der Freiberufler um 16 % gestiegen, während sie in Deutschland im gleichen Zeitraum um 16,8 % zurückgegangen ist.

In den letzten 10 Jahren haben sich die beiden Politiken in entgegengesetzte Richtungen entwickelt. In Frankreich hat die Zahl der Freiberufler um 16 % zugenommen, so Eurostat. In Deutschland hingegen ist der Anteil der Freiberufler im gleichen Zeitraum um 16,8 % zurückgegangen .

Die Gesamtzahl der Freiberufler in Europa ist zurückgegangen

Auch in Spanien, Belgien und den Niederlanden ist die Zahl der Freiberufler in den letzten zehn Jahren gestiegen. Insgesamt ist die Gesamtzahl der Freiberufler in Europa jedoch stetig gesunken. Der Anteil der Freiberufler an den Erwerbstätigen des Kontinents liegt bei etwa 14,02 %. Eurostat-Daten Aus dem Bericht der Europäischen Kommission geht hervor, dass in den 27 Ländern der Europäischen Union etwa 27,6 Millionen Selbstständige arbeiten. Bemerkenswerterweise ist diese Zahl im Vergleich zu vor zehn Jahren um rund eine Million gesunken. Im Jahr 2010 gab es in Europa 28,8 Millionen Selbstständige, was einem Anteil von 15,42 % entspricht.

Bemerkenswert ist, dass die Gesamtzahl der Freiberufler im Vergleich zu 2010 um rund eine Million gesunken ist.

Digitale Freiberufler sind älter als man denkt

Im Jahr 2020 führten die Freelance-Plattform Malt und die Boston Consulting Group (BCG) gemeinsam eine Umfrage unter mehr als 2.324 Befragten in drei Ländern (Frankreich, Deutschland, Spanien) durch, um die Dynamik der Freiberuflichkeit in Europa besser zu verstehen. Dabei konnten Informationen über "digitale Freiberufler" gesammelt werden. Diese Gruppe wird definiert als "unabhängige Arbeitnehmer, die intellektuelle, professionelle Dienstleistungen für Unternehmen erbringen".

In Frankreich liegt das Durchschnittsalter der Freiberufler bei 37 Jahren. In Deutschland liegt das Durchschnittsalter bei 45 Jahren. Und in Spanien liegt der Durchschnitt bei 40

"Es handelt sich um eine Population von etwa 6 Millionen Menschen in Europa, die in den Bereichen Technik & Daten, Kunst & Design, Marketing & Com, Business Services, Supportfunktionen undanderen Bereichen wie Recht, Einkauf und Forschung arbeiten", Quentin Debavelaere von Malt schrieb. Ihre Forschungsarbeit widerlegt die Vorstellung, dass freiberufliche Tätigkeiten überwiegend von Millennials ausgeübt werden. In Frankreich liegt das Durchschnittsalter der Freiberufler bei 37 Jahren. In Deutschland liegt das Durchschnittsalter bei 45 Jahren. Und in Spanien liegt der Durchschnitt bei 40 Jahren.

Einmal ein Freiberufler, immer ein Freiberufler

Die meisten Freiberufler fangen nicht als Freiberufler an, so der Bericht von Malt und BCG. "In den meisten Fällen haben sie ihre Fähigkeiten über Jahre hinweg als Angestellte aufgebaut, bevor sie als unabhängige Berater von Projekt zu Projekt gehen", so die Forscher. Insgesamt ergab die Untersuchung, dass 94 % der derzeitigen Freiberufler früher in Vollzeit für ein Unternehmen gearbeitet haben.

Im Durchschnitt wollen 84 % der Freiberufler in Frankreich und Deutschland nicht zurückkehren.

Doch wenn Freiberufler schließlich den Schritt wagen, will die große Mehrheit von ihnen nicht in eine Festanstellung zurückkehren. Im Durchschnitt wollen 84 % der Freiberufler in Frankreich und Deutschland nicht zurückkehren, während 74 % der Spanier ihre Autonomie nicht aufgeben wollen. "Dieser Trend ist bei Freiberuflern, die in Frankreich(89 %) und Deutschland(95 %) im Technologie- und Datenbereich tätig sind, noch stärker ausgeprägt", heißt es in dem Bericht weiter.

Freiberufler sind entscheidend für die digitale Revolution".

Vinciane Beauchene

Schließlich nutzt der Bericht die Arbeitsweise der Freiberufler als perfektes Beispiel dafür, wie Unternehmen ihre digitale Transformation beschleunigen können. "Freiberufler, die größtenteils aus der Ferne arbeiten, sind besonders versiert in neuen Arbeitsweisen wie dem agilen Modus, und sie widmen fast 5 Stunden pro Woche der Entwicklung ihrer Fähigkeiten", sagt Vinciane Beauchene, Managing Partner & Director bei BCG. "Dies ist ein interessantes Beispiel dafür, wie man erfolgreich eine digitale Kultur entwickeln und interne Mitarbeiter in neuen Arbeitsweisen schulen kann."

"Autonomie und Vertrauen ermöglichen es den Menschen, schnell zu handeln und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Freiberufler sind bereits ein großartiges Beispiel dafür, was diese neue Art der Arbeit bewirken kann".

"In Zukunft werden die Unternehmen ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten einräumen und sie entscheiden lassen müssen, was für sie am besten ist", so die Schlussfolgerung des Berichts. "Kontrolle kostet Zeit, während Autonomie und Vertrauen es den Menschen ermöglichen, schnell zu handeln und die richtigen Entscheidungen zu treffen, sowohl für sich selbst als auch für das Unternehmen. Freiberufler sind bereits ein großartiges Beispiel dafür, was dieser neue Arbeitsansatz bewirken kann."

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Chefredakteurin und Autorin bei ToTalent.eu
Chefredakteur und Autor für die europäische Total Talent Acquisition-Plattform ToTalent.eu.
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